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Ich bin ehrlich. Ich freue mich, wenn noch eine Weile weniger Kinder in die Kita kommen. Und zwar nicht, weil ich Angst vor Ansteckung habe, sondern weil wir noch ein bisschen mehr Zeit haben könnten, die Dinge zu tun, zu denen wir im normalen Alltag nicht kommen. Wir haben die letzten Wochen genutzt. Räume auf- und umgeräumt, Sprachlerntagebücher vervollständigt, die Konzeption entwickelt, Akten angelegt und ausgemistet, Schlüssel sortiert und zugeordnet, mit Kolleg:innen ausgetauscht und und und. Und wir haben noch so viel auf unserer Agenda. Die Krippenräume malern, die Aufnahmen der neuen Kinder planen, an unserer Teamentwicklung arbeiten, das Pädagogische Handbuch der Kita weiter bearbeiten, uns selbst weiterbilden, ein Beschwerdemanagement entwickeln, Ideen für einen Krippengarten sammeln und und und. Es sind alles Selbstverständlichkeiten, die wir schon getan und noch vorhaben. Und dennoch ist nie Zeit dafür da. Die letzten Wochen haben uns noch deutlicher vor Augen geführt, wie schlecht es um unseren Beruf steht. Wie hoch die Anforderungen und Erwartungen an uns sind. Von Seiten der Politik, des Trägers, der Eltern, uns selbst. Und wie wenig Zeit uns dafür zugestanden wird. Als würde sich Qualität ganz wie von selbst ergeben. Also ja, ich bin ehrlich, ich wünsche mir mehr Zeit für mein Team.
Ich bin ehrlich. Ich freue mich, wenn so bald wie möglich die Kinder zurück in die Kita kommen können. Von Anfang an habe ich mir viele Sorgen um Kinder gemacht. Unsere Kita liegt mitten in einem Brennpunktkiez in Berlin. Viele Familien haben zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen, leben von Transferleistungen, sprechen wenig deutsch, leben in beengten Verhältnissen und und und. Vorschularbeit hat eine andere Dimension. Viele Kinder haben erhöhte Förderbedarfe. Für noch mehr Kinder gibt es keinen offiziellen Status, sie haben nur in einem Bereich besonderen Förderbedarf. Viele Kinder sprechen nicht ausreichend deutsch. Allen Kindern fehlen ihre Freunde und ihre Erzieher:innen, denn sie sind zu wichtigen Bezugspersonen geworden. Manchen Eltern fehlen ihre Erzieher:innen, denn sie sind zu ihren Begleiter:innen geworden. Die Kitakinder sollen als letzte zurück in die Kita dürfen. Das zeigt, welchen Stellenwert unser Berufsfeld hat. Wie ernst frühkindliche Bildung genommen wird. Aller wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Trotz. Eine MSA-Prüfung ist wichtiger als der soziale Kontakt eines Kleinkindes. Also ja, ich bin ehrlich, ich möchte, dass alle Kinder so schnell wie möglich zurück in die Kita kommen.
Ich bin keine Expertin in Virologie, Medizin, Politik, Wirtschaft. Und ich bin hin- und hergerissen, was ich mir für die Kita in den nächsten Monaten wünsche.
Grundsätzlich und über die nächsten Wochen hinaus ist es endlich an der Zeit, ehrlich unseren Beruf aufzuwerten und die politischen Lippenbekenntnisse auszusparen.
Mehr Fachkräfte, besser ausgebildete Fachkräfte, bessere Bezahlung, mehr Zeit für mittelbare pädagogische Arbeiten, vollständig freigestellte Leitungen unabhängig von der Kinderzahl, zusätzliche Sprachfachkräfte für jede Kita, Reinigungspersonal, das in der Kita angestellt ist, Köch:innen, die gesund und frisch kochen, ausreichend Facherzieher:innen für Integration, Zeit für Fortbildungen! Die Liste ist lang und lange nicht vollständig. Es gibt viel zu tun. Packt es endlich an!
Link zum Artikel der Zeit: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-04/kitaschliessung-coronavirus-alleinerziehende-pandemie-lockerung